Wir Konsumkinder Podcast: Staffel 1 | Folge 1: Unsere Kindheit

Damit Du einen Eindruck bekommst, in welche Verhältnisse Carsten und ich hineingeboren wurden, wie wir aufgewachsen sind und unsere Zeit verbrachten, bis Carsten und ich uns kennenlernten, erzählen wir Dir in dieser und den kommenden drei Folgen die Vorgeschichte zu unserer gemeinsamen Geschichte.

In dieser Folge erzählen wir Dir von unserer Kindheit. Natürlich immer mit dem Fokus auf Finanzen, Geld und Konsum.

Vollständiges Transkript der Folge

Carsten Hey, hier sind Carsten

Stefanie und Stefanie

Carsten und wir erzählen dir in diesem Podcast unsere Geschichte,

Stefanie wie wir von unmündigen Konsumkindern zu mündigen Bürgerinnen wurden.

Carsten Das ist Staffel eins, Folge eins. Unsere Kindheit.

Meine Geschichte beginnt im Jahre 1977 als älterer von zwei Brüdern im südwestlichen Niedersachsen in einer kleinen Siedlung. Die nächste Stadt mit circa 25.000 Einwohner·innen war ungefähr eine halbe Stunde Autofahrt entfernt. Wollte man die nächste Großstadt erreichen, hätte man circa einer 3/4 Stunde auf der Autobahn zurücklegen müssen. Entsprechend ländlich habe ich meine Kindheit verbracht. Sowohl mein Elternhaus als auch die Familie meiner Großeltern haben überwiegend in handwerklichen, teilweise ungelernten Arbeitsverhältnissen den jeweiligen Familienunterhalt sichergestellt. Geld war eine Notwendigkeit, um Miete, Essen und Kleidung zu bezahlen. Es war nie in üppigen Maßen vorhanden. Trotzdem hatte ich weder als Kind noch als Jugendlicher das Gefühl, im Mangel oder in beengten finanziellen Verhältnissen zu leben. Es war immer genug Geld vorhanden, um die kindlichen Wünsche zu befriedigen. Und die waren im Vergleich zur heutigen Generation noch sehr überschaubar und vergleichsweise begrenzt.

Taschengeld wurde in der Regel in einer Art Krämerladen in unserer Siedlung für Süßigkeiten ausgegeben, das Fruchtgummi für fünf Pfennig das Stück einzeln abgezählt und in einer Papiertüte wie eine kleine Trophäe vor uns hergetragen. Ansonsten orientierten sich unsere Wünsche an Spielsachen anderer Kinder. Fernsehwerbung war noch recht dünn gesät. Zumindest sind mir keine bewussten Erinnerungen erhalten geblieben. Meine ersten sieben Lebensjahre verbrachte ich in besagter kleiner Siedlung, einer ehemaligen Bergwerks Arbeitersiedlung, die in der Nachkriegszeit etwas, wenn auch nicht stark gewachsen ist. Zugehörig zur Gemeinde des nächstgrößeren Dorfes, das gerade mal so um die 5000 Einwohner zählte und auch heute noch nicht wesentlich größer sein dürfte. Zumindest fühlt sich der Ort auch heute bei Besuchen meines Elternhauses ähnlich klein und beschaulich an wie damals zu Kindheitstagen.

So oft es das Wetter zuließ, hielten wir uns draußen im Garten oder in der freien Natur auf. Trotz des Alters von fünf, sechs oder sieben Jahren unternahmen wir Kinder hin und wieder auch einen Abenteuerausflug in den angrenzenden Wald. Wir, das waren immer 2 bis 3 Kinder, die im Siedlungskindergarten Freundschaft geschlossen hatten und auch nach der Kindergartenzeit ihre Zeit miteinander verbrachten. Glücklicherweise wohnte mein bester Freund nur ein paar Häuser entfernt. Wir waren oft draußen und haben viel erlebt. Natürlich gab es auch Zeiten, in denen wir drinnen gespielt hatten, vornehmlich mit Lego Bausteinen. Es ist schon interessant, heute den eigenen Nachwuchs mit den gleichen, also teilweise meinen eigenen alten Bauklötzen spielen zu sehen. Mit dem gewaltigen Unterschied, dass die Legokatalogswelt seit damals förmlich explodiert ist. Da scheint es fast nichts mehr zu geben, was nicht irgendwie auch als Lego Set zu bekommen ist. Lego Technik war für mich als Kind so ziemlich das Neueste auf dem Markt, stellt aber auch gewissermaßen das Ende der Fahnenstange hinsichtlich des Spielalters dar. Bis ich alt genug für Lego Technik war, hatte ich das Interesse allerdings längst verloren und gegen andere Interessen abgetreten.

Einmal wurde uns eine Carrera Bahn geschenkt. Ob zu Weihnachten oder zum Geburtstag, weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube aber, dass es eher als großes Weihnachtsgeschenk gegolten hatte. Und ich kann mich noch daran erinnern, dass es immer etwas ganz Besonderes war, wenn die Kontaktplättchen der Carrera Autos abgefahren und ersetzt werden mussten. Dann fuhr unsere Mutter mit uns in die nächste Stadt. Dort gab es ein Haushaltsgeschäft, in dessen Keller eine Spielwarenabteilung lag. Ein Eldorado für Kinder, aber auch für Erwachsene mit Hang zum Modellbau. Wahrscheinlich empfand meine Mutter derartige Ausflüge weniger spannend als wir Kinder, wahrscheinlich eher als Notwendigkeit. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, kosteten die Carrera Contact Plättchen damals 2,50 DM. Natürlich sind wir nicht für jedes Carrera Auto zum Spielwarenladen gefahren, sondern nur, wenn mehrere Autos repariert werden mussten. Entsprechend kostete die Neuausstattung der Autos dann auch schon mal zehn DM. Für uns Kinder eine gigantische Summe. Kaum vorstellbar, so etwas vom eigenen Taschengeld zu bestreiten. Aus heutiger Sicht denke ich, dass meine Eltern nicht nur die Miete für das damalige Haus aufbringen mussten, sondern darüber hinaus Geld für den späteren eigenen Hausbau sparen mussten.

Aber wie wirkte sich diese finanzielle Situation denn nun konkret auf den Alltag aus? Eingekauft wurde bei Aldi einmal pro Woche ein Großeinkauf. Kleidung wurde möglichst günstig gekauft. Dazu nahm meine Mutter auch längere Anfahrtswege in Kauf. An Markenklamotten war zum einen gar nicht zu denken. Zum anderen war das für uns Kinder auch ein Fremdwort. Irgendwann später, in meinen Jugendjahren, wurde ich mir das erste Mal bewusst, dass Jugendliche und Erwachsene zwischen Kleidung von Markenherstellern und sogenannten No Name Produkten unterschieden. Als Kind hatte ich mir da nie Gedanken drum gemacht. Meine Fahrräder in den ersten Lebensjahren waren vorwiegend gebrauchte Räder. Mindestens eines davon hatte mein Opa irgendwo aufgetrieben, der in unserer Familie schon berüchtigt dafür war, jedwedige halbwegs brauchbare Gegenstände vom Straßenrand mit nach Hause zu nehmen. Die konnte man ja schließlich noch irgendwie gebrauchen, die waren ja noch gut, so der Grundtenor. Diese beiden Sätze hätten es durchaus zu geflügelten Worten in meinem Familienkreis bringen können. Als Kind war mir das ehrlich gesagt egal. Hauptsache ein stabiles und brauchbares Fahrrad. Einmal sogar ein Rennrad, das ich mir sehr schick mit blauen und gelben Streifen verziert hatte. Ohne zu wissen, dass mein Rennrad danach wie schwedische Reklame aussah. Erst mein Onkel klärte mich auf, dass ich unbewusst mein Rad in den schwedischen Nationalfarben coloriert hatte. Mir jedenfalls gefiel es.

An größere Anschaffungen in meiner Kindheit kann ich mich nicht mehr erinnern. Wobei wir eine Schaukel bekamen, so eine mit zwei Schaukeln in einem Stahlgestell, einer Einzelschaukel und einer Doppelschiffahrtsschaukel und einer Doppelleiter oder wie das genannt wird, wo auf beiden Gestellseiten eine Leiter bis nach oben geht und sich dort trifft. Die Schaukel wurde mit gemeinsamen Kräften aus dem Verwandtschaftskreis im Garten montiert bzw. betoniert, um nicht bei wilden Schaukeleskapaden umzukippen. Wir fuhren einen metallic-roten Datsun, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine seit Jahrzehnten ausgestorbene Automarke. Dieses Auto begleitete meine Kindheit genauso wie die Probleme, die dieses Auto machte. Zumindest sind mir zwei Erlebnisse noch in Erinnerung. In beiden Fällen musste dem Auto durch Schieben nachgeholfen werden. Einmal, weil es die Steigung aus der Tiefgarage unseres Mietshauses nicht schaffte und ein andermal, weil es auch hier eine Steigung bei einem Möbelhaus nicht ohne fremde Hilfe bewältigen konnte. Es war ein günstiges Auto, aber praktisch, da geräumig.

Um meinen siebten Geburtstag herum sind wir dann in das nächstgrößere Dorf gezogen. Meine Eltern hatten dort ihr jetziges Haus gebaut. Das war auch das Jahr meiner Einschulung. Glücklicherweise ist auch die Familie meines damals besten Freundes in den gleichen Ort umgezogen. Nur ein paar Häuser weiter wie in unserer bisherigen Wohnsituation. Und genauso wie wir in ein selbstgebautes Eigenheim. Das schien damals schon zum gesellschaftlichen Standard gehört zu haben, dass man nach Heirat und Kinder auch ein eigenes Haus hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt sind wir nur ein einziges Mal in Urlaub gefahren. Mit der Bahn ins Allgäu, in ein Ferienhaus. Ob eine oder zwei Wochen, weiß ich nicht mehr. Den Grundriss des Ferienhauses habe ich aber noch im Kopf. Fragmentarisch. Auch die Bahnfahrt. Darüber hinausreichende Erinnerungen an den Urlaub fehlen mir jedoch fast völlig. Dieser Urlaub war etwas Besonderes, war es doch der erste Familienurlaub überhaupt, in dem wir wirklich in Urlaub gefahren sind und nicht die Urlaubstage zu Hause verbracht hatten. Uns fehlte schlichtweg das Geld, um regelmäßig in Urlaub zu fahren. Entsprechend dauerte es mehrere weitere Jahre, bis wieder Geld für Urlaubsreisen vorhanden war. Der Abtrag des Hauses und der Lebensunterhalt ließen nicht allzu viel für Ersparnisse übrig. Als es dann an der Zeit für einen zweiten Familienurlaub war, muss ich schon alt genug gewesen sein, dass ich es vorzog, die zwei Wochen alleine zu Hause zu bleiben.

Statt Familienurlaub ermöglichten meine Eltern mir während meiner Grundschulzeit die Teilnahme an einem Ferienzeltlager im Sauerland. Startpunkt war Essen im Ruhrgebiet. Eine kleine Weltreise entfernt von unserem Wohnort. Als Erwachsener weiß ich es zu schätzen, dass meine Mutter mich dorthin fuhr. Aber auch, dass meine Eltern mir diese drei Zeltlager Wochen ermöglichten. Noch heute zehre ich von diesem einmaligen Erlebnis. Danke Bernd und danke Peter. Seitdem geht mir das Lied „Wir lagen vor Madagaskar“ nicht mehr aus dem Kopf.

Durch den Hausbau verkleinerten sich die finanziellen Spielräume zumindest in den ersten Jahren. Weiterhin wurde so günstig wie möglich eingekauft Lebensmittel, Kleidung, Gebrauchsgegenstände. Erst Jahre später erweiterten sich die finanziellen Spielräume und Luxusanschaffungen wie ein Videorecorder oder später gar eine Satellitenschüssel konnten angeschafft werden. Trotz der stetigen Geldknappheit hatte ich als Kind nie das Gefühl, auf irgendetwas verzichten zu müssen. Ich war zufrieden.

Stefanie Meine Geschichte beginnt 1984 als jüngere Schwester eines Bruders am westlichen Rand des Münsterlandes, unwissentlich gar nicht so weit entfernt von Carsten. Aber eigentlich beginnt meine Geschichte dann doch in Münster, in Westfalen, da wurde ich geboren, aber gewohnt haben meine Eltern und mein Bruder da schon weiter entfernt, dort, wo ich dann auch aufgewachsen bin. Münster war die nächstgrößere Stadt und ebenfalls etwa 45 Autominuten entfernt, wobei das Städtchen, in dem ich ab meinem zweiten Lebensjahr aufwuchs, schon mehr als 25.000 Einwohner zählte. Die ersten zwei Lebensjahre haben wir in einem kleineren Nachbarort in einem Haus zur Miete gewohnt. Daran erinnere ich mich aber überhaupt nicht mehr. Dementsprechend bin ich nicht ganz so ländlich aufgewachsen mit Carsten, aber doch noch ziemlich ländlich.

Meine Familie gehörte dem an, was man wohl oberer Mittelstand nennt. Wir hatten immer genug Geld, ein großes, eigenes Haus mit Garten, zwei Autos, eine Haushaltshilfe und sind einmal im Jahr mindestens in Urlaub gefahren. Vor der Wende ging es da eher nach Frankreich, Belgien und auch einmal nach Föhr. Und nach der Wende waren wir jedes Jahr auf Rügen. Bis ich zu alt war, um mit meinen Eltern in Urlaub fahren zu wollen. Allerdings sind wir nie geflogen, sondern waren immer mit dem Auto unterwegs.

Es heißt, dass ich schon mit zwei Jahren verrückt nach Pferden und Ponys war und keine Möglichkeit zum Ponyreiten ausließ. Daher meldete mich meine Mutter, als ich fünf war, zum Voltigieren an und ein Jahr später bekam ich dann Reitunterricht. Von meinem zehnten bis zum 14. Lebensjahr fuhr ich zusätzlich in den Sommerferien noch auf den Ponyhof. Also zusätzlich zu unserem Familienurlaub. Und mein sehnlichster Weihnachtswunsch war bis zu meinem Auszug ein Pferd, der mir allerdings nie erfüllt wurde. Dafür gab es andere Geschenke. Mein Bruder und ich sind immer reichlich mit Geschenken bedacht worden, sei es Playmobil oder Lego, wobei ich eigentlich nur mit Playmobil gespielt habe, soweit ich mich erinnern kann. Oder anderes Spielzeug.

Da meine Eltern beides Einzelkinder sind, waren wir die einzigen Enkel und sind dementsprechend bei jeder sich bietenden Gelegenheit von den Großeltern beschenkt worden. Als ich neun Monate alt war, entschied sich meine Mutter, meinen Vater bei der Erwerbsarbeit zumindest in Teilzeit zu unterstützen. Und so bekam ich dann ein Kindermädchen, an das ich mich aber zu meiner Schande nicht mehr erinnern kann. Meine Großeltern wohnten etwa 100 Kilometer entfernt, zu weit, als dass wir sie oft hätten sehen können. Also anders als bei Carsten, wo die Großeltern direkt nebenan oder in der Nachbarschaft gewohnt haben.

Meine Kindheit habe ich genau wie Carsten ebenfalls sehr viel draußen verbracht mit meinen Kindergartenfreundinnen und teilweise auch mit meinem Bruder, der mich manchmal widerwillig mitnehmen musste, wenn er rausging. Quasi das Schicksal des großen Bruders. Später in der Grundschule sind wir viel als Gruppe Gleichaltriger durch die Straßen gezogen, und haben mal hier und mal dort gespielt. Selten bei jemanden zu Hause, meistens draußen. Zu Hause hatten wir einen Spielkeller, in dem mein Bruder und ich mit unserem Playmobil, wie gesagt, an Lego kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern, spielen und toben konnten. Dort hatte uns mein Vater auf einem Tisch auch eine große Landschaft aufgebaut, in der die Playmobileisenbahn fahren konnte, so ähnlich wie eine Märklinlandschaft, nur dass es halt kein Märklin war. Das war erst später. Am Anfang, als wir noch kleiner waren, gab es das alles noch nicht.

Außerdem hatten wir jeder ein großes Zimmer, mein Bruder und ich, wo wir auch ganz viel Spielfläche hatten und wir hatten tatsächlich sehr viel Platz. Wir haben Taschengeld bekommen. Ich weiß aber nicht mehr wie viel und es ging uns finanziell betrachtet sehr gut. Meine Mutter hat viel Wert auf Markenkleidung und generell auf Marken gelegt. Bei meinem Vater weiß ich das gar nicht, ob ihm das so wichtig war. Bei uns gab es zum Beispiel Lindt statt Milka, das war sehr wichtig und bei Aldi haben wir nie eingekauft. Ich weiß noch, wie meine Mutter früher Socken gestopft hat mit einem Stopfei aus Holz. Das hat dann aufgehört und wir haben die Socken mit Löchern einfach weggeschmissen. Wo das Stopfei heute ist, weiß ich nicht. Wir waren nicht reich, aber auch weit entfernt davon, arm zu sein.

Im Vergleich zu Carsten hatten wir definitiv mehr Geld zur Verfügung und einen weitaus verschwenderischen Lebensstil. Etwas Gebrauchtes hätten mir meine Eltern nie gekauft. Das musste immer neu sein. Ich bin auf jeden Fall in einem Haushalt aufgewachsen, in dem das Geld nie knapp zu sein schien und ich vieles, was ich mir gewünscht habe, auch bekommen habe. Ich denke, meine Wünsche waren größer als Carstens, weil bei uns der finanzielle Spielraum viel größer war. Es war sehr viel selbstverständlich, was ich im Abgleich zu Carstens Kindheit als Luxus ansehen würde. So hatte ich zum Beispiel im Alter von sieben Jahren mit dem Klavierunterricht begonnen, laut meiner Mutter auf eigenen Wunsch. Als ich mit zwölf Jahren damit aufhören wollte, habe ich das nicht mehr geglaubt, dass es auf eigenen Wunsch war. Aber ich gehe mal davon aus, dass es tatsächlich auf eigenen Wunsch war. Und dort habe ich dann auch ein eigenes Klavier bekommen, ein neues gekauftes Klavier, das uns gehörte, was dann später wieder verkauft wurde, als ich mit zwölf Jahren aufgehört habe, Klavierunterricht zu nehmen. Aber so eine Anschaffung war bei uns einfach möglich.

Carsten Das war's für heute. Die nächste Folge erscheint am kommenden Montag.

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